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Neukölln verpflichtet Bauherren auch bei kleineren Bauprojekten dazu, Sozialwohnungen zu bauen.

© dpa/Soeren Stache

Not in my backyard? : Wie der Berliner Bezirk Neukölln die Akzeptanz für Neubauvorhaben erhöht

Neukölln hat einen Weg gefunden, Bauherren auch bei kleineren Bauvorhaben zu Sozialwohnungen zu verpflichten. Der Senat will die Strategie nicht übernehmen.

Bauen? Klar, aber: „Not in my backyard”, nicht direkt bei mir im Hinterhof! Auf den sogenannten NIMBY-Effekt wird gerne verwiesen, wenn Anwohnende Nachverdichtungsvorhaben in ihrem Kiez kritisieren. Die Botschaft derjenigen, die auf den NIMBY-Effekt verweisen: Egal was hier gebaut wird und wie, die Leute sind sowieso dagegen, über die Kritik muss man sich eben einfach hinwegsetzen.

Es macht schon einen Unterschied, wenn die Nachbarschaft sieht: Da entsteht auch bezahlbarer Wohnraum und nicht nur ein Investorenprojekt.

Jochen Biedermann, Stadtentwicklungsstadtrat in Neukölln

Aber vielleicht sind die Anwohnenden gar nicht immer gegen alles, was gebaut wird, sondern haben manchmal konkrete, sinnvolle Einwände gegen. Das Bezirksamt Neukölln meint, eine Strategie gefunden zu haben, die zu mehr Akzeptanz bei Nachverdichtungsprojekten führt: Es verpflichtet Bauherren auch bei kleineren Bauvorhaben zu einem bestimmten Prozentsatz an Sozialwohnungen.

Jochen Biedermann, Grüner Stadtentwicklungsstadtrat in Neukölln, sagt: „Es macht schon einen Unterschied, wenn die Nachbarschaft sieht: Da entsteht auch bezahlbarer Wohnraum und nicht nur ein Investorenprojekt.“ Die Akzeptanz für die Bauprojekte sei spürbar gestiegen. Es ist vor allem bezahlbarer Wohnraum, der in Berlin fehlt.

Größer als 1000 Quadratmeter muss die zu entwickelnde Geschossfläche sein, damit das „Neuköllner Modell für kiezverträglichen Wohnungsbau“ greift. 30 Prozent der Fläche sollen dann als mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnraum, also als Sozialwohnungen, errichtet werden. Bezahlbarer Wohnraum, bei dem sich die Bezirke im Allgemeinen eher schwertun, ihn den Bauherren abzuringen. Das gilt zumindest für kleinere Bauvorhaben unter 5000 Quadratmeter Geschossfläche, und wenn bereits Baurecht besteht.

Kooperative Baulandentwicklung als Vorbild

Für größere Bauprojekte gibt es das „Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung“, das seit 2014 für Projekte ab einer Größe von 5000 Quadratmetern Geschossfläche angewandt wird, sofern dafür noch kein Baurecht gilt und ein entsprechender Bebauungsplan erst noch geschaffen werden muss. Wünsche der Bauherren wie die Festlegung einer hohen Bebauungsdichte werden dann im Gegenzug für die Zusage von einem festen Anteil von Sozialwohnungen und die Kostenübernahme für soziale Infrastruktur gewährt.

Bei kleineren Bauprojekten im Rahmen der Nachverdichtung wird aber meist kein neuer Bebauungsplan geschaffen, deswegen können die Bezirke dieses Vehikel auch nicht anwenden, um Sozialwohnungen einzufordern. Zum Beispiel im dicht bebauten Norden Neuköllns liegt größtenteils schon Baurecht vor. Das Bezirksamt setzt daher mit seinem „Modell zum kiezverträglichen Wohnungsbau“ mit einem anderen Hebel an: Das geltende Baurecht mit den Kennziffern zur Bebauungsdichte stammt in vielen Fällen noch aus den sechziger Jahren und sieht eine viel geringere Bebauungsdichte vor.

Altes Baurecht anwenden

Wenn der Bauherr also dichter bauen will, als in den Plänen von damals vorgesehen, was bei so gut wie jedem Bauvorhaben der Fall ist, kann das Bezirksamt sagen: Die Baugenehmigung für die höhere Bebauungsdichte bekommt ihr nur, wenn ihr auch Sozialwohnungen baut. Denn das Bezirksamt muss für die angestrebte höhere Dichte eine „Befreiung“ von den baurechtlich geltenden Kennzahlen genehmigen. Diese Befreiung wird im Tausch gegen die Errichtung von 30 Prozent Sozialwohnungen gewährt.

Seit drei Jahren hat das Amt die neue Strategie nun implementiert. 151 Sozialwohnungen sind seitdem im Rahmen des neuen Verfahrens genehmigt worden, berichtet Stadtrat Biedermann. Das ist mehr als ein Drittel der 424 Sozialwohnungen, die im selben Zeitraum insgesamt in Neukölln genehmigt wurden. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 3426 Wohnungen in Neukölln genehmigt.

151
Sozialwohnungen sind über das neue Modell seit 2020 genehmigt worden

Am Anfang sei das Verfahren sehr umstritten gewesen, berichtet Biedermann. Nicht nur die Bauherren seien wenig begeistert gewesen, sondern auch unter Kollegen und in der Senatsverwaltung habe man skeptisch nach e Neukölln geschaut – auch in der Sorge, dass das Verfahren juristisch möglicherweise nicht standhalten könne.

Neukölln bislang kein Vorbild

Inzwischen habe sich aber gezeigt: In den drei Jahren habe es keinen einzigen juristischen Widerspruch oder eine Klage gegen das Modell gegeben, auch durch die Fachliteratur sieht Biedermann bestätigt. „Insgesamt ist es so, dass wir nur noch wenig Grundsatzdiskussionen dazu führen“, sagt Biedermann. „Ich hoffe, dass das Verfahren auch über Neukölln hinaus zur Anwendung kommt, weil es ein Beitrag ist, die Wohnungskrise in der Stadt zu lösen.“ Bislang täten das die anderen Bezirke aber nur in Einzelfällen.

Ein Vorbild also für ganz Berlin? „In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen wird für die Nachverdichtung im Bestand eine landesweite Übernahme des Neuköllner Modells derzeit nicht erwogen“, heißt es dazu in der Stadtentwicklungsverwaltung. Man führe Gespräche mit den Bezirken über die Handhabung im Einzelfall und arbeite an einem gesamtstädtisch umsetzbaren Handlungsleitbild zur Nachverdichtungsstrategie.

Die Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Neuköllner Modell fänden Berücksichtigung in dem Erarbeitungsprozess des Handlungsleitbildes. Das Neuköllner Modell greife insbesondere bei Nachverdichtungen, wie zum Beispiel der Bebaubarkeit von Hinterhöfen und Baulücken: „Dies ist naturgemäß eine kleinteilige Entwicklung. Damit schafft das Neuköllner Modell zwar einen wichtigen, in Bezug auf die gesamtstädtisch benötigte Menge an Sozialwohnungen aber nur begrenzten Beitrag zur Realisierung von bezahlbarem Wohnraum.“

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