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Berlin: Ausgezeichneter Auftritt

Sie begeisterten Zehntausende und machten Nieselregen schnell vergessen: Die schrägsten, originellsten, besten Pop-Konzerte des Jahres

DAS ALLERERSTE

Schlappe 65 Jahre hat sie sich Zeit gelassen, aber dafür wird es ein grandioser Abend: Ende Juni gibt Barbra Streisand in der Waldbühne ihr erstes Deutschlandkonzert. Sie verzaubert mit großer Stimme und 58-köpfiger Bigband, nimmt sogar Songwünsche aus dem Publikum entgegen. Da verzeiht man gerne das ewige Schlangestehen vorm Eingang: Alle Besucher mussten erst Schleusen mit Metalldetektoren passieren.

DAS FEURIGSTE

Wie gemein: Nieselregen, null Sonnenschein, und das im Juli. Wie schön: Als die Beatsteaks die Wuhlheide betreten, hört das Geplätscher auf. 17 000 Fans feiern – und wie! Als es dunkel wird und der Mob tanzt, werden auf den Tribünen plötzlich sechs, sieben, acht, neun Bengalische Fackeln gezündet; reingeschmuggelt von den Fans von Hertha BSC. Eine feurige Atmosphäre wie in Brasilien!

DAS SCHRÄGSTE

Die Rapper des Jahres, K.I.Z., feiern im Huxleys, 2000 Fans spielen mit bunten Luftballons. Nie zuvor waren so viele Studenten und Frauen bei einem Hip-Hop- Konzert. Die Rapper haben Angst um ihr Gemächt und bleiben lieber nüchtern auf der Bühne – denn links und rechts von ihnen schießen Flammen aus dem Boden. Leider kann Pierre, Sänger der Reggae-Band Seeed, nicht wie angekündigt auftreten: Er lässt per SMS ausrichten, er habe eine flotte Magendarmgrippe.

DAS RITTERLICHSTE

Von Mando Diao über Marilyn Manson und Patti Smith bis hin zu Chuck Berry. Mehr als 30 Konzerte finden in der Zitadelle Spandau statt. 7000 Menschen sind umringt von alten Gemäuern, in die Festung gelangen die Fans über einen Wassergraben. Fehlt nur noch das Sicherheitspersonal in Ritterrüstung und auf Pferden.

DAS BERÜHRENDSTE

Nach 16 Jahren löst Jochen Distelmeyer seine Band Blumfeld auf, vorher spielt er noch zwei Abschiedskonzerte im Postbahnhof, bringt zum letzten Mal Klassiker wie „Mein System kennt keine Grenzen“. Und fordert das geschätzte Akademiker-Publikum zu etwas völlig Blumfeld-Untypischem auf: rhythmisch mitzuklatschen wie sonst bei Westernhagen. Distelmeyers Begründung: „Man muss auch mal was Verbotenes tun.“

DAS ABSURDESTE

Bushido bei dem Anti-Gewalt-Konzert vor dem Brandenburger Tor: Er beleidigt erst Homosexuelle, beschimpft dann die Politiker und die Medien – alle sind empört. Alle? Na, fast. 100 000 Jugendliche feiern dennoch Bushido, die Erwachsenen verstehen „die Jugend“ nicht mehr.

DAS LOKALPATRIOTISCHSTE

„Kreuzberg“ heißt der Berlin-Song der Londoner Band Bloc Party. Klar, dass sie den auch beim Auftritt in der Columbiahalle im Mai spielt. Und kurz vorher verrät der Sänger noch, dass Schlagzeuger Matt Tong soeben nach Berlin gezogen ist. Er selbst will übrigens nachkommen.

DAS LÄSSIGSTE

Drei Tage Seeed in der Wuhlheide – also 50 000 Menschen. Der schlimmste Tag: der erste. Eventpublikum aus dem ganzen Land, die Erwartungshaltung unerträglich hoch. Der beste Abend: der letzte. Keine ätzenden Schwarzmarkthändler, stattdessen kühles Pils, viel Entspannung, super Beats, schöne Frauen. Da staunen auch die Jungs von Seeed: „Heute ist’s richtig schön entspannt.“

DAS RHYTHMISCHSTE

Er tanzt wie Michael Jackson in guten Zeiten, er kann unterhalten wie Robbie Williams: Bei seinem Auftritt in der Max- Schmeling-Halle beweist Justin Timberlake, dass er seine Boygroup-Zeiten längst hinter sich gelassen hat und zu einem echten Popstar – wenn nicht dem Popstar schlechthin – gereift ist. Bitte schnell wiederkommen!

DAS SCHLIMMSTE

Marusha vorm Hertha-Spiel im Olympiastadion. Es ist Oktober, bitterkalt, der Fußball mies. Elektrobeats als kesse Unterhaltung? Nun ja. Die 35 000 Hertha- Fans pfeifen nicht einmal, so unglaublich überflüssig sind PR-Konzerte beim Fußball.

DAS MENSCHLICHSTE

„Herzlichkeit ist keine Schande“, weiß Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. Deshalb holt er beim Tourabschluss in der Columbiahalle Freunde und Tourbegleiter auf die Bühne, stellt alle einzeln mit Namen an, verteilt Blumen und verneigt sich ständig. Ein weiblicher Fan hält ein Schild hoch. „Dirk, ich will ein Buch von Dir“, steht drauf. Das ist ihm dann doch peinlich. AG/sel

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