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Berlin: Abgründe am Rande des Parketts

Beim Berliner Presseball dominiert ungebändigte Lebenslust: Äußerlichkeiten spielen da keine Hauptrolle

Lila Federn, die übereinander geschuppt einen weiten Umhang formen. Dazu eine orange glitzernde Boa aus filzigen Fäden; dicke Balken in verschiedenen Farben Pink auf einer Hemdbluse zur schwarzen Hose; beige-schwarze Turnschuhe. In der Staatsoper Unter den Linden feiert man den Berliner Presseball. Die Ansichten, was man dazu am besten anzieht, gehen offenbar weit auseinander.

„Berlin ist so unelegant“, seufzte es jetzt mal wieder aus einem Hamburger Leute-Magazin heraus. Ein Vorurteil, das eigentlich immer weniger gerechtfertigt ist, aber die Ausreißer, die es nachhaltig füttern, gibt es leider nach wie vor. Ob das Protokoll des Berliner Journalistenverbandes dazu übergehen sollte, einen verbindlichen Dress Code (Abendkleid, Smoking) noch mal festzulegen? Gerade weil der Ball in den letzten Jahren stilistisch so viel besser geworden ist, wäre das vielleicht einen Versuch wert.

Das Ambiente von Oper und Opernpalais ist gegenüber dem ICC als Ball-Ort eine wahre Wohltat. Diesmal waren die Räume mit den Ecuador-Rosen, mit Kränzen, Gebinden und Tausenden von malerisch verstreuten Blütenblättern überdies besonders geschmackvoll ausgestattet. Runde Tische ließen alles noch edler wirken. Nur diejenigen Sponsoren, die sich nicht zu fein dazu waren, ihre Namen groß in den Opernräumen plakatieren zu lassen, müssen sich schämen: Weniger offensive Reklame hätte mehr Effekt bedeutet.

Sicher, es gibt die makellos eleganten Repräsentantinnen, die sich auf den internationalen Galaveranstaltungen so selbstverständlich bewegen wie eben auf dem Presseball, Unicef-Botschafterin Sabine Christiansen natürlich oder auch die britische Diplomatin Lady Pat Lever, die, obwohl sie dereinst die einzige europäische Samba-Tänzerin beim offiziellen Karneval in Rio war, ganz in schlichtem Schwarz erschienen war. Seit dem Umzug in die Staatsoper kommt das gehobene Bürgertum wieder mehr zur Geltung. Walter Momper mit fröhlich roter Fliege, Frau Anne mit dezent glitzerndem Haar, Jenny Gsell mit goldenen Pailletten, Autorin Christine Eichel mit dramatischem Kragen – der unbeschwerte Ausdruck lässiger Lebensfreude dominiert.

Woher die auswärtigen Urteile kommen, wird indes auch deutlich. Da sind die zwei Grazien, die seit Menschengedenken zu den meist fotografierten Protagonisten des Balles gehören. Die eine hat sich diesmal eine silbrig glitzernde Stoffmeterware über den Kopf gezogen, die wie eine Regenschutzplane nun traurig auf ein Kleid in fremdem Silber runterhängt. Die andere betont mit gelbweißen Spitzen ihren Bauch, trägt Hut dazu und eine weiße Schleppe mit erbarmungswürdigen Schmutzrändern am Saum.

Dagegen wirkt das nach der Art moderner Jogginganzüge glitzernde Streifenjackett eines Herrn wie die volkstümliche Interpretation vom Superstar-Traum. Okay ist das vor allem im Vergleich zu den Männern, die denken, dass sie wahlweise mit einem grauen oder blauen Straßenanzug schon gut genug angezogen sind, wenn sie nur die rot gemusterte Sonntagskrawatte dazu tragen. So kann man sich irren. Die sehr ausführlich geratene Begrüßung von Honoratioren wie Altbundespräsident Scheel mag auf manche Gäste zudem etwas unweltstädtisch wirken. Scheel, der immerhin bis zwei Uhr morgens durchhielt, war auch schon Anfang der 80er Jahre dabei, als ein Tagesspiegelreporter bedauernd vermerkte „Teures Tuch war kaum zu sehen“. Das stimmt so nicht mehr: Wer sich 350 bis 450 Euro für einen Ballplatz leistet, wird sich den Betrag vom Kleid nicht abknapsen. Dass sich manche Damen während des Balles direkt an der Flanierstrecke mit vielen Rundbürsten frisieren oder von Ayurveda-Jüngerinnen die Füße massieren lassen, kann man als Ausweis von Eleganz, die auch etwas mit gefällig kaschierter Disziplin zu tun hat, allerdings nicht gelten lassen. So etwas ist indes sicher nicht der Hauptgrund für spitze Bemerkungen. Die gerade beim Berliner Presseball verbreitete Kombination von unprätentiösem Auftreten in Verbindung mit ungebändigter Lebenslust provoziert bei den zu cooler Unanfechtbarkeit verdammten Haute-Couture-Stilsklaven womöglich ein ganz leises Neidgefühl: Sehnsucht nach einer Welt, in der Äußerlichkeiten nicht die Hauptrolle spielen.

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